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Briefe Eltern

Hamsterrad

Raus aus dem Hamsterrad, rein in die Zukunft!

Als Vater von zwei kleinen Töchtern, Neurowissenschaftler und Zukunftsdenker bin ich sehr besorgt über den Zustand unseres Bildungssystems und damit unserer Gesellschaft. Wir stehen vor globalen Herausforderungen gewaltigen und nie da gewesenen Ausmaßes. Schnelles, verantwortungsvolles und mutiges Handeln ist notwendig. Doch findet dies weder wirklich statt, noch werden dafür die Wurzeln gelegt. Und beides hat fatale Konsequenzen:

Kein Handeln:

Dass ein wertebasiertes und konsequentes Handeln nicht stattfindet, führt zu starkem Vertrauensverlust. Zunächst in die Politik, die Gesellschaft und die Zukunft allgemein – es fehlen die Vorbilder, zu denen man aufschaut. Dann aber auch in sich selbst, denn diese Überwältigung mit gigantischen Problemen in Kombination mit nahezu ausschließlich negativer Berichterstattung führt zu erlernter Hilflosigkeit. Man gibt auf, auch dann, wenn man vielleicht doch etwas bewirken könnte. Machtlosigkeit. Ohnmacht. Ohne Macht der Wirksamkeit sinkt die Selbstwirksamkeit. Angst entsteht, Resignation ist die Folge. In Folge sind wir weniger kreativ, schotten uns ab, fallen in alte Muster zurück. Ein Teufelskreis, der mit zunehmender Depression und Polarisierung einhergeht.

Keine Wurzeln:

Die Schule stellt leider zu großen Teilen einen realitätsfernen, archaischen Ort da. Statt junge Menschen zu begleiten, sich als wundervolle und einzigartige Individuen zu entfalten, werden sie durch einen standardisierten Leistungsapparat geschleust. Wie auf einem Fließband wird durchoptimiert und man wundert sich, dass am Ende die Qualität abnimmt. Kein Wunder. Neben dem grundlegend falschen Prozess nutzen wir auch noch die komplett falschen Messgrößen. Es geht nicht um Reproduktion von Fakten und Wissen, das können bereits heute Maschinen und Algorithmen viel besser. Stattdessen brauchen wir eine Umgebung, die die Entfaltung der Persönlichkeit, von Neugier und Mut fördert. Die Menschen stärkt und ihnen individuellen Kompetenzen (Future Skills) vermittelt. Die sie befähigt, in einer hoch-dynamischen, unsicheren und turbulenten Welt zu leben und zu gestalten. Eine Umgebung, die Wertschätzung, Dankbarkeit, Empathie und Werte vermittelt. Eine Umgebung, die dabei unterstützt, die eigene Leidenschaft zu entdecken und zu entwickeln und diese im Sinne des Gemeinwohls einzubringen. Eine Umgebung, die Resilienz und Anpassungsvermögen vermittelt.

Wenn wir eine Zukunft wünschen, in der wir leben wollen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel in Erziehung und Bildung junger Menschen. Und wir brauchen ihn jetzt!

6 Thesen für eine lebenswerte Zukunft:

  1. Orientierung: Wir brauchen authentische Vorbilder, zu denen junge Menschen aufschauen können
  2. Positivität: Wir brauchen positive Narrative, die anregen und inspirieren, die Mut machen
  3. Menschlichkeit: Wir brauchen weniger Wissen und mehr menschliche Kompetenzen (Future Skills) an Schulen
  4. Gestaltung: Wir brauchen mehr Kreativität, Kollaboration, Mut und Werte an Schulen
  5. Heilung: Wir müssen lernen, mit den eigenen Traumata der Kindheit umzugehen, sie entstigmatisieren und die Kette des Weitergebens unterbrechen
  6. Spiritualität: wir brauchen mehr Verbundenheit zu uns selbst (Achtsamkeit & Self-Care), zu anderen (Empathie & Mitgefühl) und unserem Planeten (planetares Bewusstsein & Human-Nature-Connection)

Dr. Arndt Pechstein | Neurowissenschaftler, Agiler Coach, Autor, Vater, Mensch

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Briefe Eltern

Die Schulzeit meiner Kinder

Meine Tochter war ein aufgewecktes, wissbegieriges Kind – sie hat alles aufgenommen wie ein Schwamm, leichtfüßig, voller Neugier, ohne Hemmschwellen. Meine Tochter hatte Glück in ihrer Grundschulzeit – ihre Lehrkräfte waren zugewandt, fröhlich, selbst voller Ideen – sie flog leichtfüßig durch diese Zeit. Der Wechsel auf das Gymnasium war für sie wie ein Einzug ins große Universum von neuem Wissen, ein Abenteuer – auch dort hatte sie noch zwei gute Jahre, Lehrer mit Flexibilität, die auch spontan auf Ideen ihrer Schüler eingehen konnten, die Interesse an ihren Schüler:innen hatten, ihnen zugewandt waren. Ab Klasse 8 ging es abwärts – meine Tochter wollte wissen, wofür sie die Dinge braucht, die im Lehrplan standen – sie wollte es verstehen. Die Erklärung, dass dies der Schulstoff ist, reicht nicht – wo wende ich das Wissen an, was mache ich damit? Das wollte sie wissen – die Auskünfte waren dürftig – es ging weiter bergab. In einer der Elternsprechstunden habe ich nachgefragt: Seit 3 Jahren gibt es sachliche Textanalyse – wofür? Wo bleibt die Vielfalt im Umgang mit unserer Sprache – wo wird die Schönheit berührt, die Poesie, das Gefühl? Die Antwort lautete wie folgt: „Ich weiß, dass ihr Kind kein Problem damit hat, aber ¾ der Klasse scheitern an einer einfachen Satzanalyse und die muss ich durchbringen!“ Mich hat das sprachlos gemacht! Eine ganze Klasse im Dilemma und im Druck. Warum fragen wir nicht, ob das auch anders geht? Warum bestehen wir auf dem analytischen Zerpflücken eines Satzes, anstatt die Sprache zu leben? Keiner der Jugendlichen hatte Sprachprobleme, wir alle lernen es spielerisch von Kindheit an, warum knechten wir uns so? Und das war nur ein Fach. Meine Tochter wurde depressiv – ich hätte mir gewünscht, dass sie dort rausgeht, einen anderen Weg ausprobiert, aber sie wollte bei ihren Freunden bleiben. Ich konnte nur versuchen, die Verbindung zu ihr zu halten. Es waren diese Jugendlichen, die den Satz nicht analysieren konnten, die meine Tochter gestärkt und mitgetragen haben mit ihrem großen Herz, ihrer Empathie – die sie ermutigt haben, ihr zugehört und sie aufgerichtet haben. Großartige wundervolle Jugendliche!! Ich bin ihnen mein Leben lang dankbar!

Mein Sohn ging bereits in der Grundschulzeit zu Boden – ein hoch empathisches Kind mit dem Wunsch, alles richtig zu machen. Aber was ist richtig? Die erste Lehrerin ging in Rente, es war ihre letzte Klasse und die Kraft war nicht mehr groß – in der ersten Klasse wurde viel geschrien, Angst zog ein. In der zweiten Klasse kam eine zugewandte Lehrkraft, aber sie war „nur Springer“ – damit kann keine Beziehung entstehen! Die Lehrkraft der dritten Klasse war beliebt, fröhlich, verständnisvoll. Sie war weg von einem Tag auf den anderen aufgrund einer schweren Erkrankung – es dauerte, bis die Information überhaupt zu Kindern und Eltern kam. Die Kinder waren in großer Sorge und völlig allein gelassen von Seiten der Schule – kein Auffangen, kein Mut machen – wir haben versucht zu kompensieren. Lehrer sind ungeheuer starke Bezugspersonen für die Kinder, warum wird das so wenig beachtet? Als Antwort der Schule kam ein 3-er Vertretungsteam, bis sich die Hauptvertretung den Arm brach, danach kam Lehrerin Nr. 7 in der 3. Klasse.

Es gab keine einheitliche Lehrmethode – Klasse 1 und 2 wurden ohne Zensuren und mit dem Projekt „freies Schreiben nach Gehör“ ohne jegliche Begleitung und Struktur unterrichtet. Dann kam Klasse 3 und die Benotung fing an. Das brach bei vielen das Selbstvertrauen – zwei Jahre war alles gut und jetzt alles falsch – am Ende der 3. Klasse hatte über die Hälfte der Kinder eine diagnostizierte Lese- und Rechtschreibschwäche – um den Übertritt zu sichern. Was macht das mit den Kindern? Diagnose fehlerhaft? Diagnose Schwäche? Warum? Mein Sohn ging als einziger zur Mittelschule – wir haben das besprochen, alle anderen Schulen hätten ihn zerstört, die Lehrkräfte der Mittelschule bei uns fingen die Kinder auf – sie kannten alle die Brüche. Aber die Mittelschule ist nicht angesehen. Warum eigentlich?

Glauben wir, dass eine Gesellschaft nur mit Abitur funktioniert? Eine Gesellschaft braucht uns alle, wie Puzzleteile, alle sind gleich wichtig! Im ersten Elternabend an der Mittelschule bin ich an einer SteckbriefGalerie der neuen Schüler vorbeigelaufen – es hat geschmerzt! Eine der Frage war: „Was wünscht Du Dir an Deiner neuen Schule?“ – die Antworten, die dort standen: „Ich möchte Freunde finden.“, „Ich möchte kein Versager mehr sein.“, „Ich möchte nicht mehr gemobbt werden.“, „Ich möchte keine Angst mehr haben.“.  Die neue Lehrerin hat ihre Klasse zwei Jahre lang aufgerichtet und ich habe mich bei ihr bedankt – dafür, dass sie mir mein Kind zurückgegeben hat. Mein Sohn konnte wieder lachen, konnte sich wieder annehmen – Freundschaften haben sich gebildet, die bis heute halten – auch nach der Schulzeit noch. Großartige Lehrer!!

Ich habe zwei Kinder – eine Denkerin und einen Praktiker – beide gleich-wertig, beide gleich-würdig. Ich wünsche mir ein Schulsystem, dass die Kinder und Jugendlichen in ihrer Vielfalt und ihren unterschiedlichen Fähigkeiten wertschätzt und ihnen den Raum gibt, den sie wirklich brauchen!

Mutter

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Briefe Eltern

Vater, 54

Ich will diese Erfahrung mitgeben:

„Bildung wird übereinstimmend gesehen als ein Prozess, Weg oder Ablauf in der Zeit. Dabei wird der Mensch von einem Zustand in den anderen geführt.“ Dieser philosophisch anmutende Satz passt, weil damit sichtbar wird: Das könnte Schule sein, in Realität bleibt davon fast nichts übrig. Zu dieser Erkenntnis bin ich mit meinem Sohn gelangt. Seit 14 Jahren lebt er auf dieser Welt und 6 Jahre lang habe ich sein Unbehagen über die Schule abgetan. Ich habe ihm mehrmals gesagt: Bei mir wars auch so, du bist schlau und du kommst da durch. Heute denke ich dass ich genauso mit ihm rede wie meine Eltern mit mir. Beziehungslos, ich will seinen Schmerz nicht sehen, ich will einfach, dass er es durchsteht weil ich keine Alternative habe. Was ich da mit ihm mache wird mir gerade bewusst, er wird zu einem Erwachsenen der sich zurückhält, der nicht handelt. Der Angst hat.

Vater, Essen, 54

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Mutter, 52

Keine Idee ist perfekt, auch die der Schule nicht. Ich bin Anwältin und wenn man erstmal Jura studiert hat denkt man an die Schule zurück und findet alles nur einfach. Bis ich letztes Jahr auf Empfehlung einer Therapeutin meines Kindes das Buch Vom Gehorsam zur Verantwortung gelesen habe, habe ich genau so gedacht und meine Kinder auch so behandelt. Mein ältestes Kind ist seit einem Jahr mit Depression zu Hause, nichts geht mehr. ALs sie krank wurde hat mich das eine Wut und Hilflosigkeit in mir ausgelöst, die mehr mit ihr als mit mir zu tun hatte. Ihre Depression habe ich als Provokation empfunden – ich reiße mich ein Leben lang zusammen aber mein Kind weigert sich dachte ich oft. In diesem unfassbar schweren Jahr wurde mir aufgezeigt, wie mein Kind ein Spiegel meiner eigenen Seele ist, ich habe verstanden mit was für einer Kälte und Angst vor Emotionen ich groß geworden bin und dass ein erfolgreiche Karriere in einem angesehnen Berufsfeld für mich den Wert gebracht hat, den ich als Mensch, als Kind nie bekommen habe. Mein Kind macht das nicht mehr mit und ist jetzt krank. Wenn es auf meine Stimme ankommen würde, um das Schulsystem zu verändern, dann will ich mitgeben, dass Schule Menschlichkeit, menschliche Qualität braucht. Ja wir können uns auch ohne entwicklen, aber dann wissen wir letztlich nicht wer wir sind. Und ich glaube unsere Kinder haben aktuell nur 2 Möglichkeiten: In der Anpassung unterzugehen wie ein Roboter oder nicht länger akzeptieren nicht zu wissen wer sie sind.

Mutter, Berlin, 52

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Mutter, 35

Über meine Schulzeit dachte ich lange Zeit neutral bis fröhlich zurück. Spaß, Klassenfahrten, Freundinnen daran habe ich gedacht. Genauso habe ich über meine Kindheit in meiner Familie gedacht. Es hat meine ganzen 20er gebraucht, um zu verstehen, dass beides überhaupt nicht gut war, weder die Schule noch das zu Hause. Woran ich mich erinnere sind Bilder, wie sie auch im Fernsehen sind – alle fröhlich alle lachen, eigentlich zu inhaltsleer. Und dann ist es mir aufgefallen, der Inhalt fehlt, weil der wirklich leer ist. Meine Kindheit und Jugend war in Wirklichkeit geprägt von einem mir fremd sein, von einem Gefühl den Erwartungen der Erwachsenen unbedingt gerecht werden zu wollen. Akzeptiert sein war das Wichtigste. Denn wie ich mich selbst akzeptiere, dass habe ich in der Schule nirgendwo gelernt. Jetzt bin ich Mama und ich sehe an meinem Kind täglich was mir sehr gefehlt hat: Erwachsene die mich sehen, die Vertrauen in mich haben und deren Vertrauen ich fühle, die mit mir zusammen versuchen herauszufinden wer ich bin. Ist Schule nicht der Ort um fürs Lebens zu lernen? Mir hat die Schule eher beigebracht nicht mehr zu lernen und für andere alles gut zu machen. Ich will auf keinen Fall, dass unser Kind das nochmal genauso erlebt und weiß gleichzeitig nicht was ich tun kann.

Mutter, 35

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Vater, 39

Wenn ich mit anderen Vätern über Schule spreche höre ich oft: Wir haben es so gut, in anderen Ländern ist Bildung immer noch ein Luxus, wir haben sogar Kinder die fürs Klima auf die Straße gehen dürfen. Ich denke dann: Hier versteht keiner Bildung, hier versteht keiner sich selbst und unsere Kindern gehen auf die Straße und fühlen sich verarscht von uns Erwachsenen und den Systemen die wir geschaffen haben.

„Bildung ist ein vielschichtiger, unterschiedlich definierter Begriff, den man im Kern als Maß für die Übereinstimmung des persönlichen Wissens und Weltbildes eines Menschen mit der Wirklichkeit verstehen kann“ – sagt Wikipedia. Ich soll also über die Welt lernen, persönliches Wissen aneignen und die Wirklichkeit verstehen. Großartig! Nur: Wie soll ich das lernen, wenn Lernen Erfahrung, reale Erlebnisse, reale Herausforderungen und reales Handeln braucht?

Mein Sohn zieht von einer künstlichen Welt in die nächste, von der Schule, in der er keine Erlebnisse sammelt und versucht sich vor Strafen und Abwertung zu schützen zum Computer, wo er zwar berührt wird und wichtig ist, aber kein Gespür für echtes Handeln und Fühlen bekommt.

Ich habe manchmal Angst. Wir Erwachsenen sind nicht ehrlich, wir Erwachsenen verstecken um jeden Preis unsere Fehler, wir führen unsere Kinder bei Fridays for Future vor, statt sie ernst zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen.

Vater, 39