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Briefe Schüler:innen

Fünf Tage die Woche

Fünf Tage die Woche: Schule.
Eine konstante Müdigkeit, eine wechselnde Übelkeit in mir.
So sind sechs Jahre vergangen, ohne dass ich auch nur die Chance hatte, mich kennenzulernen und zu entfalten. In der Schule schaue ich tagtäglich in die müden, antriebslosen Gesichter meiner Freunde.
Ein gemeinsames Lernen sollte es sein, aber es ist eher ein graues Kotzen des Lehrplans.
Oft fühle ich mich krank. Wie ein Luftballon, der so voll ist, dass er kurz vorm Explodieren ist. Wenn er explodieren sollte, kommt nichts Neues raus, denn ich weiß, ich bin nicht alleine. Mit meiner Wut, Trauer oder was auch immer in mir steckt. Verzweiflung?

„Nein, FALSCH!“, hallt es in meinem Kopf. Oder auch: „So was kenne ich gar nicht von dir!“ So etwas kenne ich von mir selbst nicht, möchte ich schreien.
Ganz laut.
Aber ich sitze still an meinem Platz, auf dem Holzstuhl und nicke nur, schaue auf den Boden und spüre die peinliche Röte auf meinem Gesicht. Achtundzwanzig Augenpaare auf mir.

Schaut weg, ich bin nicht die Einzige!

Ich kann nicht mehr. Ich möchte weg. Einfach weg.
Ich bin kaputt, habe Angst, Fehler zu machen.
Wo habe ich das gelernt: In der Schule.

Diese Unmenschlichkeit, mit der wir Menschen uns jeden Morgen im Schulgebäude begegnen, halte ich nicht mehr aus.

Umarmt mich mal bitte jemand? BITTE!
Wie geht es dir eigentlich?
Mir?
Ja, dir!
Ach, wie soll es dir gehen? Ich habe gestern Abend bis 0:23 Uhr an meinem Schreibtisch gesessen und Mathehausaufgaben gemacht, Vokabeln für Englisch gelernt und versucht, Geographie zu lernen für den heutigen Test.
Dann bin ich ins Bett gegangen. Für Geo habe ich mir Karteikarten geschrieben, die ich morgen in der 25-minütigen Pause auswendig lernen muss.
Ich konnte nicht einschlafen.

1:58 Uhr mache ich mir ein Hörspiel an, um meine Gedanken und Angst nicht mehr ertragen zu müssen.

Heute Morgen bin ich aufgewacht. Ich fühle mich krank. Im Bad habe ich mir eiskaltes Wasser in die Fresse geklatscht und zu mir gesagt: „Heute ist Freitag, letzter Tag, den schaffst du auch noch!“

7:10 Uhr. In 10 Minuten muss ich los. Noch schnell etwas essen und trinken, sonst halte ich den Tag erst recht nicht aus!

ZACK. Da ist sie wieder, „die Übelkeit“. Jeder nennt es Übelkeit, aber alle wissen, es ist die pure Angst, die einem im Magen liegt.
In meinem Abschlussjahr sind die Jugendlichen in der Pause leise. Still und gebrochen. 1/3 schläft auf der Tischbank, 1/3 schreibt Hausaufgaben ab. Und 1/3 versucht sich selbst verdrängen und dröhnt sich voll. Ich sitze in einem Zimmer voller kranker Menschen. Manche versuchen, sich mit Sarkasmus vor der Explosion zu retten. Einige können nur durchhalten, wenn sie andere zur Explosion drängen.
Übrig bleiben Opfer, die explodieren.

BOOOOM

Jugendliche im Krankenhaus wegen Selbstmord (10-Klässlerin).

Ich schaue mich um. KEINER. Wirklich niemand, macht etwas. Alle sind kalte, leere Maschinen, die funktionieren müssen. Die Einen mehr, die Anderen weniger. Aber ich bin ein Teil von ihnen. Eine Maschine. Oder?

NEIN! So bin ich nicht immer gewesen. Ich bin ein Mensch, der gerne lernt.

ABER NICHT SO!

Mila, Schülerin

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Briefe Schüler:innen

Die Angst Fehler zu machen

Schule. Wie war schule für mich? Eigentlich war meine ganze Schulzeit die Angst Fehler zu machen. Angst mich zu melden und zu sprechen. Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Weil mir immer klar gemacht wurde, dass meine Antworten richtig sein müssen.

Ich weiß noch, dass in einem Klassenzimmer ein Zettel an der Wand hing mit Verhaltensregeln darauf.

  • MELDEN
  • DRAN KOMMEN
  • RICHTIGE ANTWORT GEBEN

Das stand auf diesem Zettel. Dadurch wurde den Kindern also jeden verdammten Tag eingetrichtert, dass alles, was aus ihrem Mund kommt richtig sein muss. Und diesen Gedanken hatte ich immer im Hinterkopf. „melde dich nur, wenn es zu 100% richtig ist.“

Und dafür, dass man nicht so einfach reden kann, bekommt man auch noch schlechte Noten. Ich verstehe das nicht! Das ist wie eine Bestrafung für etwas, was du noch lernen musst. Und bringt mich das irgendwie weiter? Nein. Tut es nicht.

Fehler sind zum lernen da. Durch Fehler lebt man. Aber in der Schule werden sie komplett ins negative gezogen und gegen dich verwendet.

Und immer diese Noten! Noten, Noten, Noten. Was bringen mir Noten!? Sie sagen bzw. zeigen mir, was ich falsch gemacht habe und was ich besser machen muss.

10 Jahre habe ich das beigebracht bekommen und es ist nicht viel hängen geblieben, was für mein Leben nützlich ist. Und jetzt…jetzt kommen noch 3 weitere Jahre. Noch schwerer, noch auslaugender.

Ich habe Angst.

 

Martha, Schülerin

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Briefe Eltern

Hamsterrad

Raus aus dem Hamsterrad, rein in die Zukunft!

Als Vater von zwei kleinen Töchtern, Neurowissenschaftler und Zukunftsdenker bin ich sehr besorgt über den Zustand unseres Bildungssystems und damit unserer Gesellschaft. Wir stehen vor globalen Herausforderungen gewaltigen und nie da gewesenen Ausmaßes. Schnelles, verantwortungsvolles und mutiges Handeln ist notwendig. Doch findet dies weder wirklich statt, noch werden dafür die Wurzeln gelegt. Und beides hat fatale Konsequenzen:

Kein Handeln:

Dass ein wertebasiertes und konsequentes Handeln nicht stattfindet, führt zu starkem Vertrauensverlust. Zunächst in die Politik, die Gesellschaft und die Zukunft allgemein – es fehlen die Vorbilder, zu denen man aufschaut. Dann aber auch in sich selbst, denn diese Überwältigung mit gigantischen Problemen in Kombination mit nahezu ausschließlich negativer Berichterstattung führt zu erlernter Hilflosigkeit. Man gibt auf, auch dann, wenn man vielleicht doch etwas bewirken könnte. Machtlosigkeit. Ohnmacht. Ohne Macht der Wirksamkeit sinkt die Selbstwirksamkeit. Angst entsteht, Resignation ist die Folge. In Folge sind wir weniger kreativ, schotten uns ab, fallen in alte Muster zurück. Ein Teufelskreis, der mit zunehmender Depression und Polarisierung einhergeht.

Keine Wurzeln:

Die Schule stellt leider zu großen Teilen einen realitätsfernen, archaischen Ort da. Statt junge Menschen zu begleiten, sich als wundervolle und einzigartige Individuen zu entfalten, werden sie durch einen standardisierten Leistungsapparat geschleust. Wie auf einem Fließband wird durchoptimiert und man wundert sich, dass am Ende die Qualität abnimmt. Kein Wunder. Neben dem grundlegend falschen Prozess nutzen wir auch noch die komplett falschen Messgrößen. Es geht nicht um Reproduktion von Fakten und Wissen, das können bereits heute Maschinen und Algorithmen viel besser. Stattdessen brauchen wir eine Umgebung, die die Entfaltung der Persönlichkeit, von Neugier und Mut fördert. Die Menschen stärkt und ihnen individuellen Kompetenzen (Future Skills) vermittelt. Die sie befähigt, in einer hoch-dynamischen, unsicheren und turbulenten Welt zu leben und zu gestalten. Eine Umgebung, die Wertschätzung, Dankbarkeit, Empathie und Werte vermittelt. Eine Umgebung, die dabei unterstützt, die eigene Leidenschaft zu entdecken und zu entwickeln und diese im Sinne des Gemeinwohls einzubringen. Eine Umgebung, die Resilienz und Anpassungsvermögen vermittelt.

Wenn wir eine Zukunft wünschen, in der wir leben wollen, brauchen wir einen Paradigmenwechsel in Erziehung und Bildung junger Menschen. Und wir brauchen ihn jetzt!

6 Thesen für eine lebenswerte Zukunft:

  1. Orientierung: Wir brauchen authentische Vorbilder, zu denen junge Menschen aufschauen können
  2. Positivität: Wir brauchen positive Narrative, die anregen und inspirieren, die Mut machen
  3. Menschlichkeit: Wir brauchen weniger Wissen und mehr menschliche Kompetenzen (Future Skills) an Schulen
  4. Gestaltung: Wir brauchen mehr Kreativität, Kollaboration, Mut und Werte an Schulen
  5. Heilung: Wir müssen lernen, mit den eigenen Traumata der Kindheit umzugehen, sie entstigmatisieren und die Kette des Weitergebens unterbrechen
  6. Spiritualität: wir brauchen mehr Verbundenheit zu uns selbst (Achtsamkeit & Self-Care), zu anderen (Empathie & Mitgefühl) und unserem Planeten (planetares Bewusstsein & Human-Nature-Connection)

Dr. Arndt Pechstein | Neurowissenschaftler, Agiler Coach, Autor, Vater, Mensch

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Briefe Lehrer:innen

Der Übertrittswahnsinn

Wenn die Kinder nach dem Übertritt bei uns in der Mittelschule ankommen, sind sie sind am Ende. Sie haben immer nur erfahren, sie sind nicht gut genug, ihre Leistungen sind schlecht. Sie sind dumm, sogar das hören die Kinder von Lehrern und sie sind halt die allerletzten. Kommen Sie zu uns auf die Mittelschule müssen wir sie erst einmal aufpäppeln, richtig aufbauen und auch die Eltern erzählen, dass sie zum ersten Mal seit Jahren erleben, dass ihr mein Kind keine Angst hat, in die Schule zu gehen, wieder Freude hat. Sie erzählen, wir haben nicht jeden Tag Kampf, dass die Kinder überhaupt gehen, geschweige denn was lernen. Die Kinder sind total fertig mit der Welt. Der Kampf beginnt mit Hausaufgaben, Unmengen an Hausaufgaben, die die Kinder gar nicht bewältigen können, wo sie jeden Tag erfahren, ich schaff gar nicht, was von mir erwartet wird. Und dann die Noten. Ständig für Noten lernen. 40 Proben in der vierten Klasse. Jede Woche ein bis zwei Proben. Die Eltern versuchen das durchzukämpfen, sich mit den Kindern hinzusetzen und die Kinder können einfach nicht mehr . Und plötzlich ist dieser massive Druck weg und die Kinder haben wieder Erfolgserlebnisse und wieder Lust zu lernen. Es funktioniert mit nur Angst und Druck einfach nicht. Und die Eltern fühlen sich auch als Verlierer. Es ist schlimm. Die Scham, denn auch den Eltern wird permanent gespiegelt: ist dein Kind nicht erfolgreich, machst du was falsch. Auch da ist ein großes Leid in Familien. Eltern sagen, wir gefährden auch die Beziehung zwischen dem Kind und uns, weil es ständig nur noch um Schule geht und um Leistung. Und wenn die Leistung nicht gut ist, ist die Beziehung schlecht. Es belastet Familien massiv. Eltern sagen, wir können unserem restlichen Leben gar nicht mehr nachkommen. Es ist wirklich der Wahnsinn. Durch die Selektion nach der vierten Klasse. Die Note ist gut oder sie ist schlecht, Raum für andere Dinge gibt es nicht. Es ist wirklich ein Verbrechen an den Kindern und den Familien, die da alle in Geiselhaft genommen werden von diesem Übertrittswahrsinn. Es hat mit lernen nichts mehr zu tun. Kinder lernen dann gut, wenn es Ihnen gut geht, wenn sie sich wohl fühlen. Sonst kommt ja nichts ins Gehirn und wenn wir den Anspruch haben, Kinder sollen möglichst viel lernen in der Schule, dafür ist ja Schule da, dann müssen wir dafür sorgen, dass es Kindern gut geht. Die Eltern, die Druck machen, sind im Zwiespalt. Einerseits sagen Sie, sie wollen das nicht und fühlen sich schlecht, andererseits ist da die Angst, die immer wieder reproduziert wird: wenn dein Kind nicht aufs Gymnasium geht, hat es keine Chance, keine Möglichkeit auf einen guten Schulabschluss. Du hast dann versagt als Elter.  So geht es auch den Eltern schlecht.

Kerstin K. Mittelschullehrerin in Bayern

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Briefe Schüler:innen

Ich habe eine Vision

Liebe Mitmenschen,

als ich meinen ersten Brief vor 1 ½ Jahren geschrieben habe, habe ich geweint. Und auch jetzt ist mir zum Weinen zumute.
Ich bin auch 3 Monate nach dem Schulabschluss noch sehr geschockt von meinen Erlebnissen dort.
Ich kann nicht sagen, dass ich in der Schule nichts gelernt habe. Ich habe auf krankhafte Art und Weise, verschiedene Dinge in meinen Kopf gestopft.
Und jetzt habe ich nichts davon.
Ansonsten fallen mir nur Dinge ein, die ich in der Schule verlernt habe: Naturverbundenheit, offen zu sein, Liebe, Wertschätzung zeigen, mit Dank und Kritik umzugehen, Spaß haben, Teamarbeit und das Schlimmste: Fühlen.
Die meisten Kinder und Jugendliche werden in der Schule kaputtgemacht. Durch Einstuhlung, durch Zeitdruck, durch Verallgemeinerung und durch unsensibles Lernen.
Alles daran ist falsch und ich bin empört darüber.
Ich bin empört über den Zustand unseres Bildungssystems, von dem alle wollen, dass es besser wird. Aber die Lösung dafür soll es sein, das alte System anzupassen. Völlig absurd, wenn man bedenkt, wie krank unser System ist. Da muss man nicht nur etwas Kleines hier und da ändern, da muss man rebellieren! Da muss man sich auflehnen! Und wenn von oben nichts kommt, dann muss etwas von unten, von uns kommen.

Ich habe eine Vision.

Als erstes stelle ich mir die „Lernorte“ als bunte und fröhliche Gebäude vor. Sie sind groß, aber nicht, um Angst zu erwecken, sondern um Freiheit für das Lernen sowohl zu bieten als auch zu symbolisieren. Um das Gebäude herum wachsen viele Bäume und die Schüler*innen pflanzen mit ihren Begleitpersonen schöne Blumenwiesen an, weil sie gelernt haben, dass das Insektensterben ein riesiges Problem ist.
Das nächste ist, dass das Lernen nicht nur für die Schüler*innen gilt, sondern für alle, die am Schulleben teilnehmen. Da die Lehrerkräfte nun eher Begleiter*innen oder Coaches sind, werden sie nicht mehr als die Allwissenden dargestellt. Das hat auch zur Folge, dass es in diesem Schulsystem keine Hierarchie gibt, die Menschen dazu befähigt, Macht auszuüben. Deswegen ist das Schulklima wesentlich besser und es herrscht eine familiäre Stimmung.
Außerdem ist in der Schule das Menschsein die höchste Priorität. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche über den Menschen nicht nur körperliche Merkmale lernen, sondern auch innere Werte und Gefühle kennen. Des Weiteren lernen alle, wie man seine Meinung kundtut. Sie haben also eine Stimme, wodurch sie auch gesellschaftlich eine größere Lobby erhalten.
Es stehen in meiner Vorstellung nur noch adäquate Lerninhalte auf der Tagesordnung, die regelmäßig angepasst werden, um garantieren zu können, dass das Bildungssystem tatsächlich auf die Zukunft vorbereitet.
Alles in allem ist meine Schule der Zukunft ein bunter Ort mit positiver Energie, die Lust auf das Lernen macht.
Ein weiterer Grund dafür ist, dass es keine Benotung gibt und die Kinder nicht durch Drohung mit Bewertung „motiviert“ werden. Mithilfe von regelmäßigen Selbsteinschätzungen der Schüler*innen werden sie bewertet. Ziel dabei ist es, dass alle ihre eigenen Stärken kennen und ihnen die Schwächen bewusstwerden, um dann daran arbeiten zu können. So werden die Kinder zur stetigen Transformation ihrer selbst und damit auch ihrer Umgebung motiviert.
Wir sollten uns ein Beispiel an diesen Kindern und Jugendlichen nehmen, die in meiner Vision spielend in der Natur lernen und so viel über das Menschsein wissen. Wir müssen wieder zu unserer Menschlichkeit finden!

Ich wünschte, ich könnte noch einmal von vorn anfangen und auch so lernen, wie die Kinder der Zukunft.

Danke!

Josi, Schülerin

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Briefe Eltern

Die Schulzeit meiner Kinder

Meine Tochter war ein aufgewecktes, wissbegieriges Kind – sie hat alles aufgenommen wie ein Schwamm, leichtfüßig, voller Neugier, ohne Hemmschwellen. Meine Tochter hatte Glück in ihrer Grundschulzeit – ihre Lehrkräfte waren zugewandt, fröhlich, selbst voller Ideen – sie flog leichtfüßig durch diese Zeit. Der Wechsel auf das Gymnasium war für sie wie ein Einzug ins große Universum von neuem Wissen, ein Abenteuer – auch dort hatte sie noch zwei gute Jahre, Lehrer mit Flexibilität, die auch spontan auf Ideen ihrer Schüler eingehen konnten, die Interesse an ihren Schüler:innen hatten, ihnen zugewandt waren. Ab Klasse 8 ging es abwärts – meine Tochter wollte wissen, wofür sie die Dinge braucht, die im Lehrplan standen – sie wollte es verstehen. Die Erklärung, dass dies der Schulstoff ist, reicht nicht – wo wende ich das Wissen an, was mache ich damit? Das wollte sie wissen – die Auskünfte waren dürftig – es ging weiter bergab. In einer der Elternsprechstunden habe ich nachgefragt: Seit 3 Jahren gibt es sachliche Textanalyse – wofür? Wo bleibt die Vielfalt im Umgang mit unserer Sprache – wo wird die Schönheit berührt, die Poesie, das Gefühl? Die Antwort lautete wie folgt: „Ich weiß, dass ihr Kind kein Problem damit hat, aber ¾ der Klasse scheitern an einer einfachen Satzanalyse und die muss ich durchbringen!“ Mich hat das sprachlos gemacht! Eine ganze Klasse im Dilemma und im Druck. Warum fragen wir nicht, ob das auch anders geht? Warum bestehen wir auf dem analytischen Zerpflücken eines Satzes, anstatt die Sprache zu leben? Keiner der Jugendlichen hatte Sprachprobleme, wir alle lernen es spielerisch von Kindheit an, warum knechten wir uns so? Und das war nur ein Fach. Meine Tochter wurde depressiv – ich hätte mir gewünscht, dass sie dort rausgeht, einen anderen Weg ausprobiert, aber sie wollte bei ihren Freunden bleiben. Ich konnte nur versuchen, die Verbindung zu ihr zu halten. Es waren diese Jugendlichen, die den Satz nicht analysieren konnten, die meine Tochter gestärkt und mitgetragen haben mit ihrem großen Herz, ihrer Empathie – die sie ermutigt haben, ihr zugehört und sie aufgerichtet haben. Großartige wundervolle Jugendliche!! Ich bin ihnen mein Leben lang dankbar!

Mein Sohn ging bereits in der Grundschulzeit zu Boden – ein hoch empathisches Kind mit dem Wunsch, alles richtig zu machen. Aber was ist richtig? Die erste Lehrerin ging in Rente, es war ihre letzte Klasse und die Kraft war nicht mehr groß – in der ersten Klasse wurde viel geschrien, Angst zog ein. In der zweiten Klasse kam eine zugewandte Lehrkraft, aber sie war „nur Springer“ – damit kann keine Beziehung entstehen! Die Lehrkraft der dritten Klasse war beliebt, fröhlich, verständnisvoll. Sie war weg von einem Tag auf den anderen aufgrund einer schweren Erkrankung – es dauerte, bis die Information überhaupt zu Kindern und Eltern kam. Die Kinder waren in großer Sorge und völlig allein gelassen von Seiten der Schule – kein Auffangen, kein Mut machen – wir haben versucht zu kompensieren. Lehrer sind ungeheuer starke Bezugspersonen für die Kinder, warum wird das so wenig beachtet? Als Antwort der Schule kam ein 3-er Vertretungsteam, bis sich die Hauptvertretung den Arm brach, danach kam Lehrerin Nr. 7 in der 3. Klasse.

Es gab keine einheitliche Lehrmethode – Klasse 1 und 2 wurden ohne Zensuren und mit dem Projekt „freies Schreiben nach Gehör“ ohne jegliche Begleitung und Struktur unterrichtet. Dann kam Klasse 3 und die Benotung fing an. Das brach bei vielen das Selbstvertrauen – zwei Jahre war alles gut und jetzt alles falsch – am Ende der 3. Klasse hatte über die Hälfte der Kinder eine diagnostizierte Lese- und Rechtschreibschwäche – um den Übertritt zu sichern. Was macht das mit den Kindern? Diagnose fehlerhaft? Diagnose Schwäche? Warum? Mein Sohn ging als einziger zur Mittelschule – wir haben das besprochen, alle anderen Schulen hätten ihn zerstört, die Lehrkräfte der Mittelschule bei uns fingen die Kinder auf – sie kannten alle die Brüche. Aber die Mittelschule ist nicht angesehen. Warum eigentlich?

Glauben wir, dass eine Gesellschaft nur mit Abitur funktioniert? Eine Gesellschaft braucht uns alle, wie Puzzleteile, alle sind gleich wichtig! Im ersten Elternabend an der Mittelschule bin ich an einer SteckbriefGalerie der neuen Schüler vorbeigelaufen – es hat geschmerzt! Eine der Frage war: „Was wünscht Du Dir an Deiner neuen Schule?“ – die Antworten, die dort standen: „Ich möchte Freunde finden.“, „Ich möchte kein Versager mehr sein.“, „Ich möchte nicht mehr gemobbt werden.“, „Ich möchte keine Angst mehr haben.“.  Die neue Lehrerin hat ihre Klasse zwei Jahre lang aufgerichtet und ich habe mich bei ihr bedankt – dafür, dass sie mir mein Kind zurückgegeben hat. Mein Sohn konnte wieder lachen, konnte sich wieder annehmen – Freundschaften haben sich gebildet, die bis heute halten – auch nach der Schulzeit noch. Großartige Lehrer!!

Ich habe zwei Kinder – eine Denkerin und einen Praktiker – beide gleich-wertig, beide gleich-würdig. Ich wünsche mir ein Schulsystem, dass die Kinder und Jugendlichen in ihrer Vielfalt und ihren unterschiedlichen Fähigkeiten wertschätzt und ihnen den Raum gibt, den sie wirklich brauchen!

Mutter

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Briefe Schüler:innen

Ich kann nicht mehr

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte mich mehr so wirklich unterhalten. Ich habe zwar einige Freunde, aber oft fühlt sich die Zeit, die ich mit ihnen verbringe -welche sich oft auf Pausen begrenzt- sinnlos an. Es fühlt sich so unnötig an. Es gibt so viel, was ich zu besprechen habe. So viel, was ich berichten kann, was mich beschäftigt, worüber ich diskutieren möchte, was ich loswerden möchte, was mich belastet.

Ich hätte gern einen Mehrwert aus der Zeit, die ich mit eigentlich so tollen Menschen verbringe. Aber wahrscheinlich lässt Schule das nicht zu. Wahrscheinlich nimmt Schule einen so großen Teil unserer Zeit und unseres Kopfes ein, dass für nicht viel mehr Zeit übrig ist.

Schule (das System/die Menschen hinter dem System?), ich hätte gern meine Gespräche zurück. Ich hätte gern mein Leben zurück. Meine Zeit und die glücklichen Momente, die ich mit tollen Menschen haben könnte. So viel für nichts. Stattdessen ist mein Leben Schulqual, Vorbereitung bzw. Nachbereitung (aka Lernen) der Schulqual und Schulqual verdrängen mit Scheiß, den ich mir auf YouTube und Co antue. Für viel mehr ist nichts übrig -weder Zeit noch Kraft. Wofür?

Ich hätte gern Bildung statt Beschulung, Bereicherung statt Belehrung. Ich möchte gern beigebracht bekommen, dass das Leben schön, faszinierend und wertvoll ist, nicht wie sich Stress und Depressionen anfühlen, was Mobbing ist, dass manche Menschen mehr wert seien als andere und wie kaputt mich Kapitalismus macht und machen wird.

Wie konnte so etwas Tolles wie Wissensbereicherung zu so etwas Furchtbarem wie Schulsystem mutieren? Das, was Chancen aufzeigen, aufbauen, Gerechtigkeit schaffen, Leben formen, Persönlichkeiten schaffen, Mut machen, Probleme lösen könnte, zerstört Leben und kriminalisiert Fehler. Alles daran ist falsch, unter dem Alibi der Aufklärung.

In der Schule wird nicht gelernt. Wenn ich meinem Vater erzähle, ich habe etwas in der
Schule gelernt, schaut er mich verblüfft an und ist erstaunt. Warum gehen wir nicht in die Schule, weil wir fasziniert von Wissen sind, sondern weil wir müssen?

Und das Schlimmste ist, dass es normal ist. Zu leiden wird normalisiert. Niemand kritisiert es.
Und wer es tut, der nervt. Er soll sich doch einfach fügen. Machen ja schließlich alle so.
Was wir nicht verstehen ist, dass wir in der Mehrheit sind. Wir haben die Macht zu ändern,
was uns nicht recht ist. Wir sind nur schon zu müde, ausgelaugt und kaputt, schon zu tief
drin, um das zu realisieren. Ich kann nicht mehr

Schüler

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Briefe Schüler:innen

Ständige Angst

Angst … Dieses Gefühl begleitet mich ständig.

Egal ob ich einen Vortrag halten soll, mal wieder der letzte Looser im Sportunterricht bin oder einfach nur einen blöden Spruch von einem Lehrer zu hören bekomme. Am schlimmsten aber ist das Gefühl, die Erwartungen nicht erfüllen zu können, sprichwörtlich ein Fehler im System zu sein.

Für meine Lehrer bin ich nur eine Schülerin unter vielen.
Respektable Noten, nicht auffällig, nur dieses Mädchen hinten in der Ecke.
Doch für mich kann ein einziger Spruch eines Lehrers, der vielleicht nicht mal meinen
Namen kennt, mehrere Wochen Angst, Frustration und Selbsthass auslösen.
Mir ist eine blöde Note wichtiger als meine Gesundheit und meine Freude.
Ich bin abhängig. Ich will gut sein. Ich will Erwartungen erfüllen.
Doch dann, wenn ich eine gute Note mit viel Mühe und Stress erreicht habe, freue ich mich nicht, denn es geht immer noch besser und immer noch mehr.
Mir erzählt kein Lehrer, dass ich gut so bin wie ich bin und dass Noten mich nicht definieren.
Ich fühle mich als Mensch nicht wahrgenommen. In der Schule sind es nur die Noten, die zählen.

Die meisten Lehrer, die ich schon seit Jahren habe, haben sich noch nie persönlich mit mir unterhalten und wissen nicht im geringsten, was für ein Mensch ich bin. Trotzdem wissen sie ja anscheinend, dass ich faul bin, weil ich die Hausaufgaben vergessen habe, obwohl ich das ganze Wochenende für ein Klassenarbeit gelernt habe und mehrere Nervenzusammenbrüche in Kauf genommen habe.

Mittlerweile bin ich auch schon in Therapie wegen meinen Ängsten. Die KOL-Vorträge (Facharbeit) sind für mich der Horror. Schon zwei Wochen vor diesen Vorträgen habe ich Panik und die Woche vor dem ersten KOL-Seminar war eine der schlimmsten des ganzen Jahres. Schlafmangel, keine Konzentration und überreizte Emotionen. Ich bin nicht gut darin, langfristig an etwas zu arbeiten und wenn ich meinen Lehrern sage, dass ich Angst vor Vorträgen habe, kommen immer nur diese Sätze wie „Du musst es eh mal später können“ oder „Das schaffst du schon“.
Ich wünsche mir einfach, dass mehr Wert auf jeden einzelnen Schüler gelegt wird und dass das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern respektvoller wird.
Außerdem möchte ich, dass man als Schüler oder Schülerin gehört wird und endlich ernst genommen wird, denn unser Schulsystem dient zurzeit nur dazu, uns zu kleinen gehorsamen Arbeitern zu machen, die ihr Leben lang nur im Büro hocken und bis zum Burnout arbeiten.

Schülerin Gymnasium, 10. Klasse

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Schüler:innen

Leistung ohne SINN

Ich musste wohl erstmal mit dem Kopf gegen die Wand rennen.
Leistung ohne SINN – so habe ich meine Schullaufbahn erlebt. Mein Selbstwert als Spiegel meiner Noten, ohne die Frage:
„Wofür mache ich das? Warum reiße ich mir jeden Tag den Ar*ch auf?“und dabei ständiges Lob für meine herausragenden Leistungen, die mich schlussendlich zu einem Abitur mit Abschluss 1,0 trugen. Ob es das wert war, frage ich mich häufig. Ich habe meiner schulischen Leistung wohl so ziemlich Alles untergeordnet und hatte regelrecht eine „Sucht nach guten Noten“, denn als guter Schüler wurde ich gesehen und geliebt.
Leider war das nicht besonders nah an meinem eigentlichen Wesen und vermutlich bin ich gar nicht der perfekte Schüler, der ich versuchte zu sein und auch dies war wohl ein weiterer kleiner Hilfeschrei meiner Seele, um nicht hinsehen zu müssen, dass ich innerlich schon längst zerrissen war und auch mein Perfektionismus war nicht mehr, als ein Werkzeug, um mich am „Über“leben zu halten.
Schade, dass es dazu kommen musste und dennoch bin ich dankbar dafür und sehe in der Initiative „RealLabor – Leipzig“ die große Chance, dass das, was ich oben geschildert habe, nicht zwingend passieren muss. Wir haben alle Talente, Qualitäten und sind einzigartig. Wir passen in kein Muster und kein Raster, also sollten wir uns doch auch nicht dadurch zwingen? Leider werden wir dies im Alltag jedoch fast ausschließlich und wir werden zu „funktionierenden Robotern“ im System. Wir verlieren Kreativität, Diversität und die Einzigartigkeit.
Was dabei rumkommt?
Junge Menschen, denen der SINN fehlt und die schon von weitem leblos aussehen – so als hätte man ihnen die Seele aus dem Leib gerissen. So war es auch bei mir. Nach meinem sehr guten Abitur folgte ein Maschinenbaustudium an der renommierten RWTH in Aachen und irgendwann holte mein fehlender Selbstwert und
die Überforderung mich ein. Natürlich lagen die Ursachen für diesen steinigen Weg viel tiefer in mir drin und doch fühlte ich mich in Schule und auch Uni nie als Mensch verstanden, sondern eher als „High-Performer“.
Was folgte, waren schwere Depressionen, ein Klinikaufenthalt und eine riesige Lebenskrise. Das wünsche ich meinem größten Feind nicht und es liegt in unser aller Verantwortung zukünftig dafür zu sorgen, dass wir gesunden Selbstwert vorleben und vermitteln.
Heute studiere ich Psychologie und lebe ein sicherlich bewussteres Leben, auch wenn die Wunden der Vergangenheit immer mal wieder aufklaffen. Jedoch würde ich behaupten, dass ich nun einen SINN in meinem Leben gefunden habe und gemäß Viktor Frankls Idee der Logotherapie, die ich sehr unterstütze, ist dies eine noch wichtigere Grundlage für menschliches Leben als „das Brot zum Essen“.

Luca Bischoni, 22: Psychologie-Student und Autor von „Als man mir den Stecker zog“

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Briefe Lehrer:innen

Lehrerin, 42

Ich bin Lehrerin und als ich diese Frage gelesen habe wurde ich extrem wütend. Seit ich als Lehrerin arbeite gebe ich alles um meinen Schülern dabei zu helfen sich so gut zu entwickeln wie möglich. Ich habe gekocht vor Wut, was wollt ihr noch? Ich habe dann nachgedacht. Ich bin wütend geworden, weil diese Frage mich angegriffen hat. Wollte sie wahrscheinlich nicht, aber hat sie. Die Frage hat mir klar gemacht wie unendlich allein und hilflos ich mich fühle obwohl das Bildungssystem doch wie jedes „System“ aus Menschen besteht die etwas ändern könnten. Warum tun wir aber nichts??

Ich laufe seit Jahren durch das Schulsystem mit dem Gedanken: Mein Beruf besteht eigentlich nur daraus täglich meine Pflicht des Lehrens abzuliefern. Ein Bruchteil davon was ich täglich tue entspricht dem was Bildung eigentlich soll: Bezug nehmen zur Welt, sich damit auseinandersetzen, Möglichkeiten schaffen, um sich selbst kennenzulernen. Ich fühle mich nicht gesehen und meine Schüler genauso wenig, mir fehlt die Wertschätzung, mir fehlt die Unterstützung und weil ich beides nicht habe kann ich nur ganz wenig davon meinen Schülern geben.

Jetzt kommt die Scham und der Gedanke: Soll ich mich jetzt auch noch hier öffentlich blamieren und das zugeben? Trotzdem habe ich mich entschieden diesen Text zu schicken. Wir Lehrpersonen brauchen Raum uns endlich auch zu entwicklen und zu entfalten, um gut behandelt zu werden.

Wir brauchen Platz, wie sollen sich sonst die Kinder entwickeln?

Lehrerin, 42