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Briefe Lehrer:innen

Der Übertrittswahnsinn

Wenn die Kinder nach dem Übertritt bei uns in der Mittelschule ankommen, sind sie sind am Ende. Sie haben immer nur erfahren, sie sind nicht gut genug, ihre Leistungen sind schlecht. Sie sind dumm, sogar das hören die Kinder von Lehrern und sie sind halt die allerletzten. Kommen Sie zu uns auf die Mittelschule müssen wir sie erst einmal aufpäppeln, richtig aufbauen und auch die Eltern erzählen, dass sie zum ersten Mal seit Jahren erleben, dass ihr mein Kind keine Angst hat, in die Schule zu gehen, wieder Freude hat. Sie erzählen, wir haben nicht jeden Tag Kampf, dass die Kinder überhaupt gehen, geschweige denn was lernen. Die Kinder sind total fertig mit der Welt. Der Kampf beginnt mit Hausaufgaben, Unmengen an Hausaufgaben, die die Kinder gar nicht bewältigen können, wo sie jeden Tag erfahren, ich schaff gar nicht, was von mir erwartet wird. Und dann die Noten. Ständig für Noten lernen. 40 Proben in der vierten Klasse. Jede Woche ein bis zwei Proben. Die Eltern versuchen das durchzukämpfen, sich mit den Kindern hinzusetzen und die Kinder können einfach nicht mehr . Und plötzlich ist dieser massive Druck weg und die Kinder haben wieder Erfolgserlebnisse und wieder Lust zu lernen. Es funktioniert mit nur Angst und Druck einfach nicht. Und die Eltern fühlen sich auch als Verlierer. Es ist schlimm. Die Scham, denn auch den Eltern wird permanent gespiegelt: ist dein Kind nicht erfolgreich, machst du was falsch. Auch da ist ein großes Leid in Familien. Eltern sagen, wir gefährden auch die Beziehung zwischen dem Kind und uns, weil es ständig nur noch um Schule geht und um Leistung. Und wenn die Leistung nicht gut ist, ist die Beziehung schlecht. Es belastet Familien massiv. Eltern sagen, wir können unserem restlichen Leben gar nicht mehr nachkommen. Es ist wirklich der Wahnsinn. Durch die Selektion nach der vierten Klasse. Die Note ist gut oder sie ist schlecht, Raum für andere Dinge gibt es nicht. Es ist wirklich ein Verbrechen an den Kindern und den Familien, die da alle in Geiselhaft genommen werden von diesem Übertrittswahrsinn. Es hat mit lernen nichts mehr zu tun. Kinder lernen dann gut, wenn es Ihnen gut geht, wenn sie sich wohl fühlen. Sonst kommt ja nichts ins Gehirn und wenn wir den Anspruch haben, Kinder sollen möglichst viel lernen in der Schule, dafür ist ja Schule da, dann müssen wir dafür sorgen, dass es Kindern gut geht. Die Eltern, die Druck machen, sind im Zwiespalt. Einerseits sagen Sie, sie wollen das nicht und fühlen sich schlecht, andererseits ist da die Angst, die immer wieder reproduziert wird: wenn dein Kind nicht aufs Gymnasium geht, hat es keine Chance, keine Möglichkeit auf einen guten Schulabschluss. Du hast dann versagt als Elter.  So geht es auch den Eltern schlecht.

Kerstin K. Mittelschullehrerin in Bayern

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Briefe Lehrer:innen

Lehrerin, 42

Ich bin Lehrerin und als ich diese Frage gelesen habe wurde ich extrem wütend. Seit ich als Lehrerin arbeite gebe ich alles um meinen Schülern dabei zu helfen sich so gut zu entwickeln wie möglich. Ich habe gekocht vor Wut, was wollt ihr noch? Ich habe dann nachgedacht. Ich bin wütend geworden, weil diese Frage mich angegriffen hat. Wollte sie wahrscheinlich nicht, aber hat sie. Die Frage hat mir klar gemacht wie unendlich allein und hilflos ich mich fühle obwohl das Bildungssystem doch wie jedes „System“ aus Menschen besteht die etwas ändern könnten. Warum tun wir aber nichts??

Ich laufe seit Jahren durch das Schulsystem mit dem Gedanken: Mein Beruf besteht eigentlich nur daraus täglich meine Pflicht des Lehrens abzuliefern. Ein Bruchteil davon was ich täglich tue entspricht dem was Bildung eigentlich soll: Bezug nehmen zur Welt, sich damit auseinandersetzen, Möglichkeiten schaffen, um sich selbst kennenzulernen. Ich fühle mich nicht gesehen und meine Schüler genauso wenig, mir fehlt die Wertschätzung, mir fehlt die Unterstützung und weil ich beides nicht habe kann ich nur ganz wenig davon meinen Schülern geben.

Jetzt kommt die Scham und der Gedanke: Soll ich mich jetzt auch noch hier öffentlich blamieren und das zugeben? Trotzdem habe ich mich entschieden diesen Text zu schicken. Wir Lehrpersonen brauchen Raum uns endlich auch zu entwicklen und zu entfalten, um gut behandelt zu werden.

Wir brauchen Platz, wie sollen sich sonst die Kinder entwickeln?

Lehrerin, 42

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Briefe Lehrer:innen

Lehrer, Felix

Ich nutze diese Möglichkeit meine Meinung zu äußern, weil ich den Sarkasmus, den Zynismus und die Witze meiner KollegInnen so leid bin. Wir lachen über alles: Lehrermangel, Stress, psychische Belastung, die Sinnlosigkeit, die eine Note für uns hat und den sozialen Druck den Noten verursachen, die ständigen Anforderungen, die wir LehrerInnen ohne Unterstützung bewältigen, aber mit ein paar netten Worten (von einer zuständigen Behörde) bewältigen sollen. Wir lachen darüber und ich weiß trotzdem in mir, dass ich erschrocken und verzweifelt bin.

Aber nicht mal darüber können wir miteinander im Kollegium reden, weil wir keine Zeit haben, weil unser Miteinander nur so stark ist wie unsere sarkastischen Witze. Wenn ich also was mitgeben will an eigenen Erfahrungen, dann ist es ein Appell an die Lehrerinnen und Lehrer: Fangen wir an uns ernst zu nehmen, fangen wir an zusammen zu arbeiten.

Lehrer, Felix, 33