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Briefe Schüler:innen

Fünf Tage die Woche

Fünf Tage die Woche: Schule.
Eine konstante Müdigkeit, eine wechselnde Übelkeit in mir.
So sind sechs Jahre vergangen, ohne dass ich auch nur die Chance hatte, mich kennenzulernen und zu entfalten. In der Schule schaue ich tagtäglich in die müden, antriebslosen Gesichter meiner Freunde.
Ein gemeinsames Lernen sollte es sein, aber es ist eher ein graues Kotzen des Lehrplans.
Oft fühle ich mich krank. Wie ein Luftballon, der so voll ist, dass er kurz vorm Explodieren ist. Wenn er explodieren sollte, kommt nichts Neues raus, denn ich weiß, ich bin nicht alleine. Mit meiner Wut, Trauer oder was auch immer in mir steckt. Verzweiflung?

„Nein, FALSCH!“, hallt es in meinem Kopf. Oder auch: „So was kenne ich gar nicht von dir!“ So etwas kenne ich von mir selbst nicht, möchte ich schreien.
Ganz laut.
Aber ich sitze still an meinem Platz, auf dem Holzstuhl und nicke nur, schaue auf den Boden und spüre die peinliche Röte auf meinem Gesicht. Achtundzwanzig Augenpaare auf mir.

Schaut weg, ich bin nicht die Einzige!

Ich kann nicht mehr. Ich möchte weg. Einfach weg.
Ich bin kaputt, habe Angst, Fehler zu machen.
Wo habe ich das gelernt: In der Schule.

Diese Unmenschlichkeit, mit der wir Menschen uns jeden Morgen im Schulgebäude begegnen, halte ich nicht mehr aus.

Umarmt mich mal bitte jemand? BITTE!
Wie geht es dir eigentlich?
Mir?
Ja, dir!
Ach, wie soll es dir gehen? Ich habe gestern Abend bis 0:23 Uhr an meinem Schreibtisch gesessen und Mathehausaufgaben gemacht, Vokabeln für Englisch gelernt und versucht, Geographie zu lernen für den heutigen Test.
Dann bin ich ins Bett gegangen. Für Geo habe ich mir Karteikarten geschrieben, die ich morgen in der 25-minütigen Pause auswendig lernen muss.
Ich konnte nicht einschlafen.

1:58 Uhr mache ich mir ein Hörspiel an, um meine Gedanken und Angst nicht mehr ertragen zu müssen.

Heute Morgen bin ich aufgewacht. Ich fühle mich krank. Im Bad habe ich mir eiskaltes Wasser in die Fresse geklatscht und zu mir gesagt: „Heute ist Freitag, letzter Tag, den schaffst du auch noch!“

7:10 Uhr. In 10 Minuten muss ich los. Noch schnell etwas essen und trinken, sonst halte ich den Tag erst recht nicht aus!

ZACK. Da ist sie wieder, „die Übelkeit“. Jeder nennt es Übelkeit, aber alle wissen, es ist die pure Angst, die einem im Magen liegt.
In meinem Abschlussjahr sind die Jugendlichen in der Pause leise. Still und gebrochen. 1/3 schläft auf der Tischbank, 1/3 schreibt Hausaufgaben ab. Und 1/3 versucht sich selbst verdrängen und dröhnt sich voll. Ich sitze in einem Zimmer voller kranker Menschen. Manche versuchen, sich mit Sarkasmus vor der Explosion zu retten. Einige können nur durchhalten, wenn sie andere zur Explosion drängen.
Übrig bleiben Opfer, die explodieren.

BOOOOM

Jugendliche im Krankenhaus wegen Selbstmord (10-Klässlerin).

Ich schaue mich um. KEINER. Wirklich niemand, macht etwas. Alle sind kalte, leere Maschinen, die funktionieren müssen. Die Einen mehr, die Anderen weniger. Aber ich bin ein Teil von ihnen. Eine Maschine. Oder?

NEIN! So bin ich nicht immer gewesen. Ich bin ein Mensch, der gerne lernt.

ABER NICHT SO!

Mila, Schülerin

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