RealLabor Leipzig

Kategorien
Briefe Schüler:innen

Ich kann auch nicht mehr

Ich kann auch nicht mehr. Schule laugt aus. Zeit ist Mangelware. Schlaf ebenfalls. Ich stehe 6 Uhr auf, esse was und mache mich auf den Weg. Um 8 fängt Schule an. Ich sitzedrinnen, denke über mein Leben nach und werde 15 Uhr mit angeblich mehr Wissen wiedervon dem Gebäude ausgekotzt. Mein Kopf brummt. Ich bin müde und fahre wieder nach Hause. Habe ich hier jetzt freie Zeit? Kann ich mich hier jetzt meinen Freund*innen widmen? Kann ich hier jetzt Sport treiben? Die Antwort lautet nein. Die nächste Klausur steht an. Warum hat der Tag nicht 25 Stunden? Das würde vieles einfacher machen. Ich kann mir darüber aber keine Gedanken mache. Will ja eine gute Note in der Arbeit bekommen. Ich schaue mir meinen

Hefter an. Ich weiß nicht, was ich noch machen soll. Formeln helfen nicht beim Glücklichsein.

In der Schule lerne ich zu funktionieren. Das ganze scheiß System ist dafür ausgelegt kleine, vor Energie strotzende Lebewesen in große, nach außen funktionierende und glückliche, innen aber kaputte Maschinen zu verwandeln. Schule lässt uns Fassaden bauen. Uns darf es nicht schlecht gehen. Uns darf nichts wehtun. Uns darf keine Träne über das Gesicht laufen. Wenn ich in die Schule gehe, verstecke ich das, was hinter der Fassade ist. Soll ich sagen, dass es mir scheiße geht? Was sagen die Anderen und vor allem die Lehrpersonen dazu? Einige würden mich bestimmt verstehen, aber andere würden wohl sagen, er solle sich mal nicht so haben. Ich würde mich gerne frei entfalten, aber Schule, oder besser das Schulsystem, gibt mir dafür keinen Platz. Wir sollen dem Kapitalismus dienen, uns dem System beugen und nicht mit sowas wie psychischer Gesundheit anecken. Das könnte ja Kritik sein. Und Kritik ist unerwünscht. Ich habe also ein schönes Haus gebaut – und Schule fängt an. Die ersten Wochen lassen den Stuck am Haus abbrechen, die erste Klausur tritt die Tür ein und in der Klausurenphase mit zwei bis drei pro Woche plus Tests explodiert eine Bombe im Inneren des Gebäudes. Nur die Fassade steht noch. Nur über diese Fassade habe ich überhaupt die Kraft mich mit Freund:innen an Wochenenden in der Schulzeit zu treffen. Wenn sie noch einstürze, wäre ich innerlich tot. Und manchmal habe ich das Gefühl, Schule will genau das erreichen. Eine innere Leere und keine soziale Interaktion, damit ich mich nur noch dem Schulzeug widmen kann. Denn Zeit für Freundschaften bleibt nicht. Dass Freundschaften als Ausgleich wichtig sind, istallen Führenden egal. Ich schaffe das aber nicht. Ich brauche die Zeit. Ich kann nicht nurarbeiten und nur mal zwischendurch zwei Wochen Pause machen. Doch selbst diese Pausen sind, vor allem in der Oberstufe, nur ein bisschen Verdrängung. Spätestens nach einer Woche denke ich mir, was muss ich in der Schulzeit machen. Welche Präsentationen muss ich vorbereiten? Welche Klausuren stehen an? Und was mache ich dann überhaupt in der Schule?

Ich muss selbst die Zeit, die mir zum Entspannen nach etwa acht Wochen Arbeit zusteht, nutzen, um nicht ganz den Anschluss zu verlieren. Ständiges Arbeiten heißt dann natürlich

auch, dass man schneller und öfter krank wird. Aber selbst das sollte nicht passieren. Man verpasst Stoff. Könnte den Anschluss verlieren. Oder müsste eine Klausur nachschreiben an

einem Termin, der einem noch weniger passt. Ich darf nicht krank werden. Ich darf nicht. Ich darf nicht. Aber ich bin doch krank. Ihr merkt es nur nicht. Wir sind alle krank. Das System ist krank. Somit auch seine Opfer.

Schüler, 16 Jahre alt

Zurück zur Übersicht